Kempten: Blick vom mittelalterlichen Rathaus auf den üppig bepflanzten Rathausplatz
Allgäu méditerranée

Herkules-Tempel vor Alpenglühen: Wo heute Kempten steht, verliebten sich vor 2.000 Jahren Römer ins hübsche Tal der Iller und ließen sich nieder. Südländische Leichtigkeit hat sich die Zweistädtestadt bis heute bewahrt

Lesezeit: 10 Minuten

Kempten-Streifzug

In Kempten regnet’s bei schönstem Wetter. An einem warmen Sommertag ist das eine feine Sache: Aus der großen, weißen Wolke, die an Drahtseilen befestigt über dem kleinen Platz vor dem Theater schwebt, entlädt sich zu jeder halben Stunde eine kühle Dusche aus glitzernden Wasserperlen. Die beiden Möpse darunter genießen die Installation des Künstlers Stephan Huber sichtlich, schnappen nach den Wasserstrahlen und jaulen vergnügt dazu.

Das barock wirkende Kunstobjekt vor der spiegelnden Glasfassade passt gut in die Stadt, die vor allem von ihren Kontrasten lebt. Denn Kempten besteht gleich aus zwei Städten. Und dabei sind die römischen Anfänge noch nicht einmal mitgezählt. Aber hübsch der Reihe nach …

Cambodunum: Kleine Römer, große Wirkung

Im Allgäu lässt es sich bestens leben, das wurde schon im Altertum erkannt. Die Römer errichteten auf einem Steilhang hoch über dem Flüsschen Iller das Städtchen Cambodunum, das weit mehr war als die sonst üblichen Bollwerke gegen Barbaren.

Die alten, kleinen Ur-Italiener – die Körpergröße jener Zeit lag bei durchschnittlich 1,65 Meter – kamen, um vorerst zu bleiben: Vor 2.000 Jahren entstanden in unverbaubarer Bestlage mit Alpenpanorama Siedlungen, ein Forum, eine Therme und ein Tempelbezirk.

Die alten Römer kamen, sahen - und blieben

Dessen Rekonstruktion ist heute das spektakuläre Herzstück des Archäologischen Parks. Nachdem man durch die Arkadengänge gewandelt ist, tritt man zu sphärischen Lautenklängen und Gesängen vor den Altar des Herkules.

Bodenständiger geht es ganz in der Nähe in einem riesigen weißen Zelt zu, wo Forscher sich noch immer Schicht um Schicht tief hinein in Kemptens Frühgeschichte buddeln. „Die Erforschung ist noch lange nicht abgeschlossen“, stellt Professor Salvatore Ortisi fest, während er eine kleine Tonscherbe behutsam pinselnd von Lehmkrümeln befreit. Der Archäologe möchte das mit seinem Team von der Uni München ändern. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Kempten immer wieder gegraben.

Kempten: Der Brunnen am Rathausplatz ist ein beliebter Treffpunkt für Kemptner und Touristen

Zusehen, wenn Archäologen buddeln

2019 startete ein aufwendiges Projekt, um der alten Römerstadt die letzten Geheimnisse zu entlocken. Den Hauptplatz Cambodunums, den Ortisi „ein Ideal kaiserlicher Stadtplanung“ nennt, haben sie freilegen können. Besucher können bei der Schaugrabung live dabei sein, wenn mit Kellen, Schaufeln und Besen Wohnhäuser aus dem 3. Jahrhundert freigelegt werden und immer wieder Gebrauchsgegenstände im Boden auftauchen. Fest steht schon jetzt: „Cambodonum war als eine der wichtigsten Stadtgründungen nördlich der Alpen von größter Bedeutung für das Imperium“, so der Forscher. Und die Detektivgeschichte geht im nächsten Sommer weiter.

Bei der Suche nach der ältesten Stadt Deutschlands liegt Kempten zusammen mit Köln, Mainz, Xanten und Trier übrigens gut im Rennen. Immerhin erwähnte der griechische Geschichtsschreiber und Geograf Strabon Cambodunum als rätische Provinzhauptstadt bereits im Jahr 18 nach Christus in seiner Erdbeschreibung.

Pitstop auf dem Weg in die Altstadt

Auf dem Weg vom Römerhügel in die Altstadt Kemptens lohnt auch ein Italiener einen Besuch: Die ausladenden Sonnenterrassen, Palmen und Loungemöbel am Ufer der Iller machen die „Fiume Sommerbar“ zu einem der beliebtesten Treffpunkte Kemptens. Die Dependance von Café-Betreiber Antonio Gennaro lässt bei entspanntem Jazz aus den Boxen fast vergessen, dass man in Bayern ist.

Der Blick auf die Burghalde am anderen Flussufer zieht einen sofort wieder hinein in die Stadtgeschichte. Auf dem Hügel stand ein spätrömisches Kastell und im Mittelalter die Burg der Klostervögte, die im 15. Jahrhundert mit in die Stadtbefestigung einbezogen wurde. Geblieben ist der gotische Burgturm. Wer ganz bei Zinnen ist, kann auf der Anlage im ehemaligen Wärterhaus das Allgäuer Burgenmuseum besichtigen.

Nimm zwei! Kempten, die doppelte Stadt

Eins steht fest, die Stadt Kempten ist steinalt. Und feierte 2018 doch gerade einmal das 200-jährige Stadtjubiläum. Hier wird die Sache spannend und auch ein wenig kompliziert: „Du hast sicher festgestellt, dass die Luft plötzlich ganz anders riecht“, fragt die Stadtführerin in Anlehnung an historische Animositäten, als wir die Grenze vom protestantischen Kempten mit den engen Gassen und den hoch aufragenden Großbürgerhäusern verlassen und sich vor uns – im „katholischen Teil“ – der weite Hildegardplatz mit seiner barocken Opulenz auftut.

Mit Verlaub: Ich rieche nichts, außer Bäckerei und Dönerladen. Auch Kempten ist ganz im Hier und Jetzt angekommen. Bis 1818 gab es die Stadt in der Tat in zweifacher Ausführung. Im Mittelalter war an der Iller eine Doppelstadt entstanden: die Freie Reichsstadt Kempten und eine vom Fürstabt regierte Stiftsstadt.

Beide vertrugen sich nicht besonders, was bis heute für Gags taugt. Mit der Säkularisation verloren beide Städte die Eigenständigkeit. Es wuchs zusammen, was zusammengehört.

Das Ergebnis sieht klasse aus, ist perfekt in Schuss gehalten und wirkt angesichts von knapp 70.000 Einwohnern – fast jeder zehnte davon Student – großzügig bemessen. Die turbulente Stadtgeschichte hat hübsche Hinterlassenschaften hervorgebracht.

Im Hofgarten mit den kleinen Buchsbaumhecken und uralten Baumriesen lässt sich je nach Geschmack wunderbar chillen, picknicken oder vortrefflich lustwandeln. In der hübschen Orangerie am Ende des Parks ist heute die Stadtbibliothek untergebracht.

Bescheidenheit? Ach was!

Über die Brunnen hinweg bieten sich die besten Blicke auf die doppeltürmige Basilika und die riesige Residenz der Äbte. Von Bescheidenheit nicht die Spur, ganz im Gegenteil. Was heutigen Angebern ihr Luxusschlitten und die Segelyacht, waren damals die Prunkräume.

Den Rokoko so richtig auf die Spitze getrieben!

In der Residenz Kempten wurde das pompöse Rokoko auf die Spitze getrieben. Die wie im Rausch verzierten Hallen sind original erhalten und einmalig in Süddeutschland. Da wird einem ganz blümerant. Lange kann man eh nicht bleiben. Die Showrooms der Kirchenfürste sind heute eine beliebte Foto-Location für frisch vermählte Brautpaare – das nächste wartet an diesem Nachmittag schon.

Wolken - Kunstinstallation von Stephan Huber auf dem kleinen Platz vor dem Theater
Entspannen auf Sonnenterasse der

Altstadt: Ist das schön, Mang!

Die imposanten Fassaden der Patrizierhäuser in der Marktstraße wurden im Laufe der Zeit immer wieder erneuert. Sie vermitteln den Eindruck einer Zeit, in der man mit Salz- und Leinenhandel richtig reich werden konnte.

Heute geht es in der Stadt vor allem um geistiges Kapital: Die vergleichsweise kleine Hochschule genießt einen ausgezeichneten Ruf, insbesondere für Tourismus-Management ist Kempten eine der ersten Adressen im Land.

Auch die drei Studenten, die mit Eis in der Hand am Rathausbrunnen lümmeln, sind dafür eingeschrieben. Jonathan Strauß ist fürs Studium sogar aus Bremen hergezogen. „Witzigerweise hätte ich es auch zu Hause studieren können. Aber die Hochschule hier ist klasse, dabei übersichtlich und Kempten hat schon einiges zu bieten“, erzählt er. „Tolle Biergärten und Bars zum Beispiel. Exzessives Nachtleben dagegen weniger.“

Rathausplatz als „Gute Stube“

Wenn man sich verabredet in Kempten, dann am liebsten am Brunnen. Das ist wohl schon seit Jahrhunderten so. Der Platz vor dem Rathaus, einer ehemaligen Kornschranne aus dem 14. Jahrhundert, ist die gute Stube von Kempten.

Unter Rokoko- und Barockfassaden machen es sich die Kemptner und Touristen hier zwischen Palmen und Oleander am Nachmittag in den Cafés gemütlich. Wer es noch ruhiger haben möchte, biegt hinter dem Rathausplatz am hohen Turm der St.-Mang-Kirche rechts ab auf den gleichnamigen Platz.

St.-Mang-Platz: Das Dorf in der Stadt

Glänzende Metallskulpturen weisen auf die Unterwelt hin: Über eine Treppe gelangt man in den unterirdischen Schauraum der ehemaligen Erasmuskapelle. Der St.-Mang-Platz wirkt wie ein Dorf in der Stadt. Eingerahmt von Häusern aus dem Spätmittelalter, denen man im 18. Jahrhundert farbenfroh den Stil der Zeit angepinselt hat. Mit einem Jugendstilbrunnen, der vor allem durch die verspielten Skulpturen auffällt … und infolgedessen mit Kindern, die auf Steinböcken und Einhörnern reiten.

Die Entspanntheit erinnert an eine italienische Piazza. Was auch daran liegen mag, dass das Restaurant am Platz „La Isola Bella“ heißt. Den alten Römern würde es auch heute sicher gut gefallen in Kempten. Und den jungen auch.

Der St.-Mang-Platz erinnert an eine italienische Piazza
Kempten: Im schönen Hofgarten kann man sich vom Besuch der fürstäbtlichen Residenz erholen

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