Auf 1.320 Meter Höhe erhebt sich die Staffelalm über der oberbayerischen Jachenau – ein Anblick wie gemalt: Grüne Wiesen und Wälder säumen die Hütte unterhalb des Gipfels des Rabenkopfs. In der Nähe grasen Rinder unter dem blau-weißen Himmel, der zum Greifen nah scheint. Auf der Holzbank vor dem Eingang strecken Wanderer ihre müden Beine aus. Von der Staffelalm genießen sie eine grandiose Aussicht von der Gemeinde Jachenau über das Alpenvorland bis hin nach München.
Wer hier rastet, den erwartet neben einer zünftigen Brotzeit in der Bergidylle auch ein ganz besonderer Kunstgenuss. Denn die Staffelalm beherbergt zwei Fresken eines weltbekannten Malers: Franz Marc – Mitbegründer des Blauen Reiters. Zwischen 1900 und 1914 besuchte er regelmäßig die Alm und ließ sich vom beeindruckenden Bergpanorama inspirieren. Seitdem prangt im Gebäude das Bild eines Stierkopfs. Oberhalb der Kellerstiege zieren zudem eine Hirschkuh und ein Hirsch in grüner Farbe die Wand.
Staffelalm: Berg- und Kunsterlebnis in einem
Dass seine Alm zum herrlichen Ausblick obendrein Einblick in das Schaffen eines berühmten Malers bietet, nimmt Betreiber Josef Orterer gelassen. „Das ist eine schöne Geschichte, ein Sahnehäubchen“, sagt er. Es überrascht ihn nicht, dass Franz Marc Gast auf seiner 1868 erbauten Berghütte war. „Unsere Familie ist mit Marc aufgewachsen. Von meinem Vater und Großvater weiß ich, dass er die Sommer oben auf der Alm verbracht hat. Dort hat er Tierstudien, Zeichnungen und die Wandbilder geschaffen“, erzählt er.Allerdings war das Fresko mit dem Hirschpaar lange Zeit verschollen. Das Almpersonal hatte die Zeichnung im Laufe des letzten Jahrhunderts mehrfach überstrichen. Erst seit Mitte der 90er Jahre ist es wieder sichtbar.
Sennerin Britta Purzer hat sich daran gewöhnt, einen echten Marc in der Stube zu haben. Sie lebt in den Sommermonaten auf der Staffelalm. Dort kümmert sie sich um die Rinder und versorgt die Gäste. Den Wanderern bietet sie eine Brotzeit an: Käsebrot, Speckbrot und ein “G’mischtes Brettl” – die Kombination aus beiden. Das Brot backt die Sennerin selbst, den Käse liefert ihr Josef Orterer aus seiner Hofkäserei. Immer wieder sprechen sie neugierige Besucher auf die Bilder von Franz Marc an. Freundlich und geduldig beantwortet sie alle Fragen – eine Routine, die ihr Spaß macht.
Vom Privileg, eine Alm zu pflegen
Während die Sennerin den Alltag auf der Alm stemmt, sorgt Josef Orterer dafür, dass die Hütte und die Viehweiden im guten Zustand bleiben. Einmal in der Woche zieht es ihn auf den Berg. Meistens nimmt er Gäste von seinem Jachenauer Bauernhof, auf dem er Zimmer vermietet, im Auto mit zur Staffelalm.„Oben repariere ich Zäune, liefere Brennholz oder treibe die Rinder von einer Weide zur nächsten. Es gibt immer etwas zu tun“, so Josef Orterer. Für einen Plausch mit den Wanderern nimmt er sich aber gerne Zeit – ob über Franz Marc, das Wetter oder die traumhafte Lage der Staffelalm.
Für Orterer ist es eine Herzensangelegenheit, die Alm zu pflegen. Schließlich ist sie wie sein Bauernhof seit Generationen im Familienbesitz. Das einfache Leben auf dem Berg im Einklang mit den Tieren und der Natur liegt ihm im Blut. Josef Orterer will die Familientradition hochhalten und die Alm im „bestmöglichen Zustand“ an seine Kinder übergeben. „In Oberbayern gibt es über 700 Almen und meines Wissens wird seit über 20 Jahren keine mehr aufgegeben. Die Almen haben einen hohen Wert für uns Landwirte. Für mich ist es ein Privileg, die Alm zu erhalten“, so der Traditionsverfeinerer.
Persönlicher Tipp von Josef Orterer:
Die Region bietet zu jeder Jahreszeit Highlights. Ende April oder Anfang Mai lohnt sich ein Abstecher in die Rappinschlucht, wenn der Enzian in voller Blüte steht. Zu dieser Zeit blüht auch der Frauenschuh – eine seltene Orchideenart. Die ganze Schlucht ist dann ein einziges Farbenparadies.Im Sommer ist der Walchensee mit seinem klaren Wasser Pflicht – das ist der schönste Badesee weit und breit. Geübte Wanderer sollten sich die Benediktenwand nicht entgehen lassen. Dort stehen die Chancen gut, Steinböcke aus nächster Nähe zu sehen. Aber das ist noch nicht alles – auf dem Gipfel erleben Wanderer eine unglaubliche Aussicht auf die Bergwelt.